Fachwissen

Nachhaltigkeit geht nur zusammen

In einer Zeit, in der Nachhaltigkeit und Transparenz immer wichtiger werden, geht auch die Chemiebranche neue Wege. Die Lebenszyklusanalyse (LCA) erlaubt es Chemieunternehmen, den gesamten Lebenszyklus ihrer Produkte zu durchleuchten und einen klaren Blick auf nachhaltige Praktiken zu werfen.

Nicht nur immer mehr Verbraucher machen sich Gedanken darüber, ob sie nachhaltig agieren. Auch wir als Unternehmen fragen uns, wie umweltverträglich unsere Lieferkette ist und welche Verbesserungspotenziale sich noch ausschöpfen lassen. Aus diesem Grund haben wir kürzlich ein Lifecycle Assessment (LCA) durchführen lassen, anhand dessen wir nachvollziehen können, wie groß der CO2-Fußabdruck bei unseren Produkten ist. In diesem Interview gibt Dr. Jörg Schappel Einblicke über die Hintergründe der LCA-Studie und inwiefern sich Kuraray mit dem Thema Nachhaltigkeit befasst. Außerdem werfen wir gemeinsam mit ihm einen Blick in die Zukunft der umweltfreundlichen Chemieindustrie.

Herr Dr. Schappel, Sie haben kürzlich eine Studie zum Lifecycle Assessment (LCA) einiger Kuraray Produkte in Auftrag gegeben. Was war der Auslöser dafür?

Dr. Schappel: Wir wissen, dass wir als Chemieunternehmen einen relevanten Carbon-Footprint haben. Ziel dieses unabhängigen Assessments war es daher, die Nachhaltigkeit der Kuraray Produkte einzuschätzen und Verbesserungspotenziale zu identifizieren. Insbesondere wollten wir für uns herausfinden, was unsere eigenen produktbezogenen CO2-Emissionen sind. Auch unsere Kunden fragen übrigens explizit nach unserem ökologischen Fußabdruck. Denn sie möchten ja auch die eigenen CO2-Fußabdrücke berechnen, was mit solchen Informationen exakter möglich ist. Da wir selbst keine Expertise in diesem Bereich hatten, haben wir Sphera Solutions als Dienstleister mit ins Boot geholt. Die sind schon seit vielen Jahren auf diesem Markt unterwegs.

Weshalb ging es nur um die produktbezogenen Emissionen?

Dr. Schappel: Es gibt ja drei verschiedene Scopes, die bei einer solchen Untersuchung betrachtet werden: Bei Scope 1 geht es um den CO2-Fußabdruck, der im Unternehmen selbst durch das Verbrennen fossiler Brennstoffe entsteht. Das spielt bei uns weniger eine Rolle, weil wir die Energien alle einkaufen. Das führt uns schon zu Scope 2: Dieses betrifft klimaschädliche Gase, die bei den eingekauften Energien angefallen sind. Da wir von unseren Energielieferanten bereits entsprechende Informationen bekommen, können wir diese Emissionen aber schon seit längerem selbst berechnen. Daher war dies auch nicht Teil der Studie. Bei Scope 3 steht dann die Frage im Vordergrund, welche Faktoren den CO2-Fußabdruck des Produkts hauptsächlich ausmachen und wie es mit der Umweltbelastung bei der Herstellung des Produkts aussieht. Genau das wollten wir herausfinden.

Um welche Produkte ging es insbesondere?

Dr. Schappel: Wir haben erst einmal mit den Produktionen in Frankfurt und Troisdorf gestartet, weil wir eine Idee davon bekommen wollten, woran wir in Deutschland besonders arbeiten müssen, um unseren CO2-Fußabdruck zu reduzieren. Das heißt, es ging um Kuraray Poval™, PVB-Harz und PVB-Film. Im Nachgang haben wir dann noch unsere Produktion in Holešov dazu genommen, wo wir ebenfalls PVB-Film und außerdem SentryGlas® herstellen. Somit ist die gesamte Produktion der KEG in Europa abgedeckt.

Welche Faktoren genau wurden in der Studie untersucht?

Dr. Schappel: Die Studie umfasste alles, was für die Herstellung des Produkts benötigt wird. Dazu gehören die Rohstoffe, die Kuraray bezieht, inklusive deren Transport. Auch die erforderlichen Energien und die sonstigen Hilfsmedien, die wir brauchen, flossen in die Berechnung mit ein – sei es das Wasser, das wir im Prozess verbrauchen oder der Stickstoff, der für die Förderung nötig ist. Ebenfalls wurde betrachtet, wieviel Abfall bei der Produktion entsteht. Hierbei wird unterschieden zwischen gefährlichem und nicht gefährlichem Abfall sowie den verschiedenen Abfallentsorgungswegen – sprich, ob der Abfall verbrannt oder anderweitig entsorgt wird. Und natürlich war auch die Abwasseraufbereitung Teil der Berechnung. Hier galt es zu ermitteln, wieviel Abwasser anfällt und was in dem Abwasser, das wir abgeben, an Substanzen enthalten ist.

Und wie schneiden die Produkte jeweils ab?

Dr. Schappel: Ziemlich gut! Mit Kuraray Poval™ (Polyvinylalkohol/PVOH) liegen wir bei 2,47 Kilogramm CO2 pro Kilogramm PVOH. Damit liegen wir sogar 30 Prozent unter dem durchschnittlichen Datenbankwert von Sphera. Da Kuraray Poval™ der Rohstoff für PVB ist und dieses wiederum der Rohstoff für die PVB-Film-Produktion, ziehen sich die sehr guten Werte von Poval™ durch alle in der Studie geprüften Produkte und sind besser als diejenigen vieler unserer Wettbewerber.

Welche besonderen Erkenntnisse konnten Sie aus dieser Untersuchung gewinnen?

Dr. Schappel: Beim PVB-Harz hat die Abwasseraufbereitung durchaus Einfluss auf den CO2-Fußabdruck, weil hier die Abwasserfracht sehr hoch ist und das Abwasser noch viele Inhaltsstoffe enthält. Wasser ist das Lösungsmittel, daher ergeben sich in Konsequenz höhere Abwasserströme pro Tag. Umgekehrt haben wir gelernt, dass der Transport in Sachen CO2-Emissionen eine sehr untergeordnete Rolle spielt.

Das ist erstaunlich!

Dr. Schappel: Ja, auch für uns war das sehr überraschend, denn für unsere PVB-Film-Herstellung in Troisdorf zum Beispiel wird in Frankfurt produziertes PVB nach Troisdorf transportiert. Dennoch ist der Einfluss der Fahrten auf unseren CO2-Fußabdruck kleiner als ein Prozent. Dass der Transport nur einen geringen Teil der CO2-Emissionen ausmacht, scheint in der chemischen Industrie aber normal zu sein.

Interessant! Inwiefern zahlt diese Studie auf das Gesamtziel von Kuraray ein, nachhaltiger zu sein und CO2 zu reduzieren?

Dr. Schappel: Momentan handelt es sich erst einmal um eine Bestandsaufnahme. Bisher sind nur die Ziele für Scope 1 und 2 bis 2030 definiert – und natürlich unsere Netto-Klimaneutralität bis zum Jahr 2050. Bei Scope 3 sind wir gerade noch dabei, unseren Fußabdruck zu berechnen und zu analysieren, was wir tun können, um diesen zu reduzieren. Was aber schon klar ist, ist, dass die Haupteinflussfaktoren die Rohstoffe und die Energien sind – egal, welches Produkt man sich ansieht. Gerade bei PVA etwa macht der Dampf schon knapp ein Drittel der Emissionen aus.

Bis wann planen Sie die Bestandsaufnahme abgeschlossen zu haben?

Dr. Schappel: Bis etwa Ende 2023/Anfang 2024 soll alles berechnet sein. Diese Werte wollen wir dann entsprechend zertifizieren lassen, und dann können wir konkrete Ziele für die Emissionsreduktion für Scope 3 festlegen. Natürlich schaffen wir es nicht allein, unseren Fußabdruck zu verkleinern. Da brauchen wir auch unsere Lieferanten und Dienstleister. Nachhaltigkeit geht nur zusammen, keiner wird allein die Welt retten. Das ist auch einer der Gründe, weshalb wir den Process4Sustainability Cluster des Industrieparks Höchst mitgegründet haben.

Um was geht es bei diesem Cluster?

Dr. Schappel: Dabei handelt es sich um ein Netzwerk aus Unternehmen der Prozessindustrie, Forschungseinrichtungen und Innovationspartnerschaften. Das gemeinsame Ziel ist es, innovative Lösungen zu erarbeiten, die Energie sparen und Ressourcen schonen, um bis 2045 die für Deutschland angestrebte CO2-Neutralität zu erreichen.

Spannend! Gibt es denn noch weitere Nachhaltigkeitsinitiativen, in denen Kuraray sich engagiert?

Dr. Schappel: Ja. Seit Jahresanfang sind wir Mitglied in der Renewable Carbon Initiative. Diese Initiative ist bestrebt, alternative Rohstoffwege aufzubauen und Alternativen zum Erdöl zu finden. Davon gibt es prinzipiell drei verschiedene: Zum einen biobasierende Alternativen, zum anderen Ströme direkt aus CO2- und Wasserstoff und zum Dritten – und das dürfte künftig die größte Quelle sein – aus Recyclingströmen. In dieser Renewable Carbon Initiative sind viele Chemieunternehmen vertreten, aber zum Beispiel auch solche aus der Textilindustrie. Lego plant ebenfalls, beizutreten. Dadurch, dass diese Initiative so breit aufgestellt ist und nicht nur ein Industriezweig involviert ist, findet sie auch gutes Gehör in Brüssel.

Sie erwähnten, dass der Anteil der Rohstoffgewinnung aus Recyclingströmen der größte sein dürfte. Können Sie das etwas näher erläutern?

Dr. Schappel: Es gibt mehrere Studien, wie Rohstoffquellen für die chemische Industrie aussehen könnten. So etwa werden biobasierte Materialien etwa 20 Prozent Anteil vom Ganzen haben. Etwa genauso viel werden CO2 und Wasserstoff einnehmen. Der größte Teil aber – also 60 Prozent – wird aus mechanischen oder chemischen Recyclingströmen kommen. Beim mechanischen Recyclingstrom wird das Material wiederverwertet, indem es – wenn es sauber ist – gehäckselt und eingeschmolzen und dann in die Produktion zurückgespeist wird. Das kennen wir etwa von PET-Flaschen. Beim chemischen Recyclingstrom wiederum werden die Materialien in ihre ursprünglichen Monomer-Bestandteile zerlegt. Beispielsweise mittels Pyrolyse: Hier wandeln hohe Temperaturen Kunststoffe in Öl um. Ein sogenannter Steam Cracker stellt aus dem Öl wieder Monomere her. Ein weiteres chemisches Verfahren ist die Plasma Gasification: Hier zerlegt ein Plasma-Lichtstrom das Material in seine einzelnen Bestandteile.

Wie sieht es bei anderen Produkten in puncto Nachhaltigkeit aus? Zum Beispiel bei Mowital® und Trosifol®?

Dr. Schappel: Im Vergleich zu den üblichen Datenbankwerten sind diese auch gut. Genau das bestätigen übrigens die Rückmeldungen von Kunden. Das ist auch einer der drei Gründe, weshalb wir einen Nachhaltigkeits-Award unseres großen Glaskunden St. Gobain erhalten haben.

Oh, Glückwunsch!

Dr. Schappel: Danke!

Was ist bei Kuraray denn künftig in Sachen Nachhaltigkeit geplant?

Dr. Schappel: Jetzt geht die Arbeit eigentlich erst richtig los. Die Studie war ja erst einmal eine Bestandsaufnahme. Beispielsweise gibt es auf dem Energiesektor Aktivitäten in der Kuraray-Gruppe: Hier nehmen wir gerade den Einkauf von grünem Strom unter die Lupe. Ziel ist es, die Emissionen nicht über ein Zertifikat zu kompensieren, sondern von vorneherein grünen Strom zu nutzen, etwa indem man sich in einen Windpark einkauft.

Auch der für die Herstellung der Kuraray Produkte benötigte Dampf wird genauer untersucht. Momentan wird er aus Erdgas hergestellt – dafür Alternativen zu finden, ist anspruchsvoll. Möglich wäre aber etwa die elektrische Dampferzeugung – oder eben die Nutzung grüner Rohstoffe wie Biogas, die das Erdgas ersetzen. Ebenfalls möglich: synthetisches Methan aus CO2 und Wasserstoff. Das muss man sich auch als Alternative ansehen, auch wenn es erst mal noch in der Entwicklung ist.

Allerdings sind nachhaltige Materialien natürlich teurer als erdölbasierte – hier muss man genau nachsehen, inwieweit sich die Preise rechtfertigen. Denn die höheren Kosten müssen wir ja an die Kunden weiterberechnen. Da ist die Nachfrage nach nachhaltigen Alternativen allerdings noch gering – momentan zählt für die Kunden meist nur der Preis. Da die Kunden aber auch nachhaltiger werden müssen, wird sich das künftig sicher ändern.

Was machen vergleichbar große Chemieunternehmen, sprich die Konkurrenz?

Dr. Schappel: Alle – ob nun eine Covestro oder eine BASF – sehen sich nach alternativen Rohstoffströmen um. Viele Kunden der Chemieunternehmen haben bereits Scope-3-Ziele bis 2030 definiert, sodass auch wir bis 2030 etwas tun müssen. Daher müssen alle ihre Rohstoffe und ihre Energieerzeugung auf eine nachhaltige Basis stellen. Biobasierte oder anteilig biobasierte Materialien sind das, was derzeit hauptsächlich genutzt wird.

Und welche Themen bewegen die Gemüter der Branche noch?

Dr. Schappel: Ebenfalls ein großes Thema – gerade für Kuraray – ist „Carbon Capture“. In unserer Aktivkohlesparte, wo es um die Herstellung von Aktivkohle aus Steinkohle geht, wird sehr viel CO2 emittiert. Auch hier untersuchen wir, welche Technologien es da gibt, das CO2 aus den Abgasen abzuscheiden, und was dann damit passieren kann. Möglichkeit eins wäre es, das CO2 dauerhaft im Erdboden zu speichern. Möglichkeit zwei wäre, einen Abnehmer zu finden, der es in einen Kreislauf zurückspeist.

Prinzipiell sind die Themen in der Branche aber vielfältig. Vieles ist auch noch in der Entwicklung und die Prozesse dauern lang. Für junge Kollegen ist dies häufig schwierig zu verstehen, und auch ich würde mir wünschen, dass manches schneller vorangeht. Aber vieles ist momentan noch im Forschungsstadium oder gerade mal in der Pilotphase, und wir sind von Technologien abhängig, die ebenfalls erst noch erarbeitet werden müssen. Und das dauert eben. Ab 2030 wird das Ganze aber sicherlich Fahrt aufnehmen und in den großindustriellen Maßstab übertragen werden.

 

Kann man die Ergebnisse der LCA-Studie denn irgendwo einsehen?

Dr. Schappel: Natürlich – auf unserer Website! Unter kuraray-poval.com und www.mowital.com | products | brochures (Life Cycle Assessment) stehen die detaillierten Ergebnisse in einer kostenlosen Broschüre zum Download bereit.

Vielen Dank, Herr Dr. Schappel, für das sehr aufschlussreiche Gespräch!