Story

Recycling ist nicht einfacher, aber nachhaltiger

Ein Projekt der OST mit dem Taschenhersteller Freitag setzt auf Zirkularität: Aus recycelten Skischuhen und Lastwagenplanen wird eine wiederverwendbare Smartphone-Schutzhülle mit Kartenetui. Das Projekt wurde im Januar 2023 mit dem Nachhaltigkeitspreis des Swiss Plastics Expo Awards ausgezeichnet.

Von Marianne Flury, publiziert in KunststoffXtra Ausgabe 3-4, 2023

Die Firma Freitag, bekannt für ihre farbigen Taschen aus ausgedienten Lastwagenplanen, startete das Handyschutzhüllen-Projekt bereits in 2019. «Wir  haben lange nach einem passenden Material für eine kreislauffähige Handyhülle gesucht», sagt Anna Kerschbaumer,  Verantwortliche für das Produktportfolio und Co-Company Leader beim Taschenhersteller. Fündig wurde das Unternehmen schliesslich beim IWK, Institut für Werkstofftechnik und Kunststoffverarbeitung.  

Das IWK bereitet seit 2012 Recyclingmaterial aus geschredderten Skischuhen wieder auf – anfänglich zu 3D-Druck-Filamenten, seit jüngstem nun auch für den Spritzguss. Die Anfrage von Seiten der Freitag lab. ag kam gerade zum richtigen Zeitpunkt. «Die Handyhüllen passen im Moment bestens zur Recyclingmenge, die uns zur Verfügung steht. Das hat uns den nötigen Schub gegeben, in den Tonnenbereich zu kommen», sagt Prof. Daniel Schwendemann, Leiter Fachbereich Compoundierung / Extrusion am IWK. Inzwischen hat das Institut rund zwei Tonnen Material für Handyhüllen für Freitag compoundiert.

Ein lokaler Kreislauf

Ein wichtiger Aspekt des Smartphone-Projekts sind die kurzen Wege über alle Wertschöpfungspartner hinweg. «Wenn die lokale Fertigung nicht gewesen wäre, wäre das Projekt wahrscheinlich gescheitert», vermutet Schwendemann. «Die Materialaufbereitung und das Spritzgiessen sind nicht ganz trivial. Wir haben lange getüftelt und mehrere Loops gemacht, bis das Resultat für uns stimmte. 

Die ersten Schritte im Kreislauf macht in diesem Projekt die Werkstatt der Stiftung Argo in Davos. Dort werden die Skischuhe zersägt und geschreddert, Metallteile und Gummireste aussortiert, dann wird das Material (TPE)  gemahlen und ans IWK nach Rapperswil-Jona spediert, wo es eingeschmolzen, entgast, gefiltert und compoundiert wird.

Der nächste Schritt erfolgt bei Pfister Werkzeugbau in Mönchaltorf, die das Werkzeug hergestellt hat und das Material zu Handyhüllen verarbeitet.

Die letzte Station ist die Produktionsstätte von Freitag in Zürich-Oerlikon. Aus rezy­klierten Lastwagen-Planen entstehen neben den bekannten Taschen auch die farbigen Kartenetuis, die zusammen mit den Handyhüllen als 2teiliges System verkauft werden

Für die Handyhüllen gibt es ein take back System. Wer das Handy wechselt, behält das Kartenetui, gibt aber die Schutzhülle an die Stores von Freitag zurück, von wo sie dann gesammelt wieder zu Argo nach Davos gelangen, wo der Kreislauf von neuem beginnt.

Viele Planen für einen attraktiven Farbmix

«Mittlerweile funktionieren die Abläufe für die Rücknahme recht gut», bestätigt Kerschbaumer. «Wir starten im Moment ein Projekt, um das Rücknahmesystem für die Hüllen bekannter zu machen. Den Circ Case – die Handyhülle mit dem Kartenhalter – gibt es ja seit Mitte letzten Jahres. Wir gehen davon aus, dass mit dem Launch des neuen Apple Geräts im September vermehrt Material zurückkommt.»

Ein Teil der Produktion von Freitag ist in Zürich-Oerlikon. Dort werden die alten Planen angeliefert. In einer grossen Produktionshalle – sie wird intern ’Zerlegplatz’ genannt – werden sie von allem Fremdmaterial befreit (Ösen u.ä.) und anschlies­send mit Cuttern in kleinere Teile zerlegt. Danach werden die Planenstücke mit Regenwasser gewaschen, bevor sie den Weg in die Fertigung finden. Dort werden Taschenteile ausgeschnitten, dann Kleinteile wie Portemonnaies, Schlüsselanhänger oder eben Kartenetuis für die Handyhüllen aus den Restmaterialien gestanzt.

Damit im Planensortiment die Farbenvielfalt gewährleistet ist, unterhält Freitag ein Team, das sich um den Planeneinkauf kümmert. Unterstützt wird das Team durch ’die Leute auf der Strasse’, die mittels Truck spotting schöne LKW-Planen melden können. «Wir wachsen und benötigen viele Planen, um einen attraktiven Farbmix anbieten zu können», erklärt die Produktmanagerin.

Nachhaltige Alltagsprodukte

Dieses Jahr feiert Freitag das 30-Jahr-Jubiläum. Gegründet wurde das Unternehmen von Markus und Daniel Freitag. Sie benötigten damals etwas, worin sie als Studenten ihre Unterlagen verstauen konnten. Das Taschenprodukt aus Lastwagenplanen und damit die erste Messenger Kurriertasche war geboren. 

Der Antrieb für die diversen nachhaltigen Projekte ist offenbar in der Familien-DNA verankert. «Die Neugierde und die Ambition, etwas Positives zu bewirken, etwas in Richtung Kreislauffähigkeit weiterzuentwickeln und gute Lösungen für nachhaltige Produkte für den Alltag zu finden – das steckt hinter dem Namen Freitag», erläutert Kerschbaumer die Firmenphilosophie. Momentan laufen unterschiedliche Projekte parallel. Unter anderem arbeitet das Unternehmen zusammen mit verschiedenen Industriepartnern auch an der Entwicklung einer komplett kreislauffähigen LKW-Plane. 

Ein Preis, vier Partner

Schliesslich sind es alle beteiligten Partner, die das Smartphone-Projekt erfolgreich durchgezogen haben und am Ende auch mit dem Swiss Plastics Expo Award ausgezeichnet wurden. 

«Wir haben zuerst auch nach Partnern in Italien oder im näheren Umfeld zur Schweiz gesucht. Aber (fast) niemand produziert Handyhüllen in Europa. Es war eine Herausforderung, das Produkt-Know-how für ein simples Alltagsprodukt aufzubauen. In China einzukaufen wäre wesentlich einfacher», stellt Kerschbaumer fest. Und doch: Über’s Ganze gesehen geht die Rechnung auf. «Wir haben sehr kurze Versandwege, schätzen es, dass der Kreislauf vom Rohmaterialbezug über die Aufbereitung und Verarbeitung bis zum Produkt in der Schweiz erfolgt, und während der Entwicklungszeit war auch die Nähe zu den Partnern IWK und Pfister ein grosses Plus.» Und sie fragt sich, warum nicht mehr Firmen in der Schweiz produzieren und von der Kleinräumigkeit profitieren. 

«Auch wir haben die kurzen Wege genutzt und mit dem Commitment von Freitag – auch gegenüber dem Verarbeiter – sind wir den Weg gegangen und haben das Projekt durchgezogen. Wenn der Inverkehrbringen eher monetäre Ziele hat, kann ein Projekt schnell scheitern. Der Weg mit Rezyklaten zu arbeiten ist steiniger, aber er ist es meiner Meinung nach Wert, ihn zu gehen», so Schwendemann abschliessend. 

www.argo.ch
www.ost.ch
www.pfw.ag.ch
www.freitag.ch